Köb & Pollak
W - WOHNBAU UND WUTBÜRGER
Wenn in Wien vom Wohnbau gesprochen wird, sieht es meistens schlecht aus: zu teuer, zu wenig oder zu viel, politisch motiviert oder frei finanziert ... die Meinungen gehen prinzipiell auseinander. Mit zwei interessanten ProponentInnen der (nicht nur) Wohnbauszene unterhielt sich Peter Reischer über das Thema und über den Wandel in der Architektur.
Frau Architektin, Sie haben sich sehr stark und lange schon mit der Rolle der Frau in der Architektur befasst. Würden Sie sagen, dass es eine ‚Frauenarchitektur‘ gibt?
Pollak: Nein!
Und eine weibliche Architektur?
P: Nein!
Herr Architekt, gibt es eine männliche Architektur?
Köb: In gewisser Hinsicht - ja!
Wie werden Sie über Architektur sprechen, kann man über Architektur sprechen?
K: Ich werde sicherlich keinen Werkkatalog üblicher Prägung präsentieren. Es ist auf reflexiver Ebene der Versuch, Vorlieben und das Wesentliche herauszuschälen.
P: Sprechen kann man natürlich über Architektur, das hat ja Friedrich Achleitner hier in Österreich eingeführt. Eine Gesprächskultur über Architektur ist schon sehr wichtig. Was mich jedenfalls - auch in geschriebener Form - nicht interessiert, ist eine einfache Beschreibung eines Gebäudes. Wenn wir über Architekturkritik sprechen, dann sind das Themen, die uns in den letzten 15 Jahren beschäftigt haben und mit denen wir uns immer wieder auseinandersetzen.
Sie haben jetzt den Begriff der Architekturkritik erwähnt. Was verstehen Sie darunter? Was wünschen Sie sich von einer Architekturkritik?
P: Wenn es darum geht, ein Gebäude relativ genau zu beschreiben und man hat aber nur ein Bild dazu, wie es in den Tageszeitungen üblich ist - das ist eher uninteressant.
Ich bin keine Anhängerin einer Architekturkritik, sondern eher einer Architekturtheorie.
Und was wünschen Sie sich da?
P: Die Behandlung der Themen, die wichtig sind. Mir gefallen Theorien, die - und die finde ich auch brauchbarer - eher das Denken öffnen. Das haben wir auch in den USA, wo unsere gemeinsame Arbeit begonnen hat, kennengelernt. Die Lehrtätigkeit in den USA war damals sehr
K: Das Ziel sollte immer sein, Architektur in einen wissenschaftlichen Raum zu bringen. Solange sich Architektur nur zwischen ‚gefällt‘ und ‚gefällt nicht‘ erstreckt, ist die Krise der sogenannten Architektur einfach hausgemacht. Solange hier kein Diskurs stattfindet, keine Kriterien entstehen.
Was könnten solche Kriterien sein?
P: Die Kriterien sind immer von der Aufgabe abhängig. Der Kontext ist immer ein Kriterium, auch die Wünsche und Vorstellungen der BauherrInnen.
K: Wenn man sich einen Architekturvortrag anhört, und die Augen geschlossen hat, dann ist der Text immer das Gegenteil dessen, was gezeigt wird.
Wollen Sie damit sagen, dass die Texte, die zur Architektur produziert werden, die Wirklichkeit verschleiern?
K: Eigentlich geht es um etwas anderes, als das, was abgebildet wird. Es ist ein Fachgeplänkel, ein geschlossener Kreis, der sich nicht den realen Gegebenheiten öffnet. Es ist die Ignoranz mancher BauherrInnen oder ArchitektInnen, die als Geschmacksdiktatoren auftreten. Komplexität bedeutet für mich eine Mehrfachlesbarkeit, eine Interpretationsmöglichkeit, um dem Nutzer in seinem Aneignungsprozess Freiheiten zu bieten. Oft wurden wir gefragt, ob wir die Innenarchitektur auch übernehmen würden. Das habe ich immer abgelehnt, weil es ja nicht mein Haus oder meine Projektion ist, die dem Nutzer aufgedrängt werden soll. Es ist ja sein Haus.
Bedeutet das dann auch, dass Sie auf eine persönliche Verwirklichung im Wohnbau verzichten? Weil der Wohnbau nicht das Bild der Arbeit des Architekten, sondern der Ausdruck des dort Wohnenden ist?
K: Der Entwurfsprozess, der mit dem Bauherrn in einem Dialog entsteht, entstehen soll, setzt einen bewussten Bauherrn voraus. Ich kann nicht für eine Verallgemeinerung planen. Ich brauche Reibeflächen. Ich brauche den Menschen.
Wie stehen Sie zur Aussage von Friedensreich Hundertwasser, der gesagt hat: „Der rechte Winkel ist gottlos!“
P: Das war grandios. Sein Manifest ist nach wie vor eines der schärfsten, das es gibt. Heute schreibt ja niemand mehr Manifeste. Auch seine Art der Vermittlung, sich nackt hinzustellen, war großartig. Der Funpark, der daraus entstanden ist, und die Übersetzung seiner Architektur sind grauenhaft. Das hat mit Flexibilität und Freiheit nichts mehr zu tun, das ist Behübschung, bunter Fliesen und Bemalungen. Er war bis heute in seiner Radikalität einzigartig.
Wie halten Sie vom Parametrismus in der Architektur?
P: Bei unserer Arbeit im Büro steht das, wenn wir Wohnbau machen, nicht einmal ansatzweise zur Diskussion. Weil das hat im Wohnbau, wo es so viel um Ökonomie, Flexibilität und ganz konkrete BenutzerInnen geht, nichts zu suchen. In der Lehre an der Kunstuni in Linz gibt es ein ganz eigenes Profil in der Architektur, im Unterricht: einerseits eine sehr handfeste Ausbildung, was die Konstruktion betrifft, andererseits sehr konzeptionell und experimentell, aber nicht mit dem 3D-Plotter, sondern eher in Form von geschriebenen Konzepten bis zu 1:1 Interventionen an ganz konkreten Standorten. Wir versuchen uns da schon von der Angewandten in Wien abzugrenzen, es ist ja gut, wenn es beides gibt.
Sehen Sie zu den Arbeiten von Fritz Matzinger gedankliche und konzeptuelle Verbindungen?
P: Ich kenne seine Arbeiten schon lange, das waren immer große Vorbilder. Er erfindet quasi immer wunderbare, neue, einfache Typologien. Die funktionieren bis heute gut. Er ist der Protagonist des partizipativen Wohnens schlechthin.
Matzinger hat ganz klar formuliert und bewiesen, dass seine Wohnkonzepte die - vielleicht einzige - Lösung für die Probleme unserer Gesellschaft in Bezug zur Nachhaltigkeit darstellen. Seine Intentionen, die ich auch in Ihren Wohnbauarbeiten entdecke, würden doch eigentlich nach Kooperation, nach Synergien verlangen?
P: Solche Arten der Kooperation kommen jetzt wieder unter den ‚Jungen‘ auf. Lange Jahre war das unter ArchitektInnen sehr schwierig.
Die Neidgenossenschaft?
P: Der Neid war viel größer, als eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Heute ist es eher anders, gerade das gemeinschaftliche Wohnen schreit nach Netzwerken. Ich glaube, das ändert sich.
K: Ich glaube, das ist eine Sache der Generationen. Man muss ja nicht alles ständig neu erfinden.
Sie haben einen Satz formuliert, in dem Sie sagen, dass diese neuen Wohnformen ja auch einer Vermittlung bedürfen. Matzinger schlägt Bauausstellungen vor, um die konkreten Wohnerfahrungen seiner Modelle einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
P: Ja, das ist eine gute Idee. Wir haben das in Niederösterreich immer wieder gepredigt, denn hier ist die Baukultur - im Vergleich zu Vorarlberg - nicht sehr hoch. Es wäre toll zu zeigen, dass etwas anderes als das Einfamilienhaus auch möglich ist, dass es andere Formen der Verdichtung gibt. Es braucht Vorzeigebauten.
Apropos Einfamilienhaus, wie stehen Sie dazu?
P: Prinzipiell habe ich, auch in der Lehre, eine kritische Haltung dem gegenüber. Obwohl sich ein großer Prozentsatz der ÖsterreicherInnen das wünscht, ist es nicht länger machbar und auch nicht sinnvoll. Es hat einen zu großen Flächenverbrauch, auch auf dem Land lassen sich die Menschen scheiden, was ist mit dem nicht abgezahlten Haus?
Würden Sie eines bauen, wenn Sie den Auftrag bekämen, oder würden Sie den Auftraggeber/die Auftraggeberin beraten, eine andere Wohnform zu wählen?
P: Wir haben natürlich auch solche Häuser gebaut, aber die waren von vornherein von einem Nachdenken über Teilbarkeit oder späterer Nutzung geprägt.
K: Der Einfamilienhausbau war einfach, historisch gesehen, das erste Spielfeld für uns. Sobald man sich von der üblichen Behausung entfernt und versucht eine Prozesshaftigkeit hineinzubringen, kann das zu sehr prägenden Vorgangsweisen führen.
Wie stehen Sie zu dem Begriff der ‚Gemütlichkeit‘ im Wohnen?
K: Heute schätze ich es ungemein, wenn ein Gebäude von mir als atmosphärisch beschrieben wird. Gemütlichkeit ist ein Synonym. Ich empfinde es, wenn sich das Ergebnis eines strategischen Planungsprozesses in emotional erlebbaren Reaktionen ausdrückt, als positiv.
P: Gemütlichkeit ist für mich keine Kategorie, an die ich bei der Raumentwicklung denke. Das ist eher das, was die BenutzerInnen einbringen. Ein Raum muss es aushalten, verändert und angereichert zu werden. Es gibt keine neutrale Architektur - und selbst die gibt es nicht wirklich. Es gibt eine ‚reduziertere‘ und eine ‚besser benutzbare‘ Architektur - das ist eine lange Diskussion, die nie zu Ende geführt werden kann.
Soll man in der Architektur mehr auf die ‚Intuition‘ der Frauen hören?
P: Um Gottes Willen, nein. Frauen sind um nichts mehr oder weniger intuitiv als Männer, sie achten auch nicht mehr oder weniger als Männer auf die Gemütlichkeit. Das sind Rollen, die Kindern von klein auf angelernt werden.
Und auch akzeptiert werden!
P: Es ist ganz klar, dass man mehr Frauen bauen lassen sollte. Über Jahrhunderte hindurch war der Beruf sehr männlich orientiert und ist es auch noch, aber das ändert sich. An jeder Universität in Österreich studieren bereits mehr Frauen als Männer. Auch die Machtpositionen werden sich verschieben.
Wir sind also in einem Wandel?
P: Ja natürlich, das ist ganz klar.
Wohin, in welche Richtung wandelt sich die Architektur?
K: Die Architektur verschwindet. Ich beneide die zukünftigen Generationen überhaupt nicht. Es wird eine Amerikanisierung des Berufsstandes geben. Bevor gezahlt wird, wird zuerst geklagt, damit man nicht zahlen muss.
Wodurch wird die Architektur ersetzt?
K: Es werden Großfirmen sein. Die Tragödie in unserem Berufsfeld beginnt damit, dass es den bewussten Bauherrn/die bewusste Bauherrin nicht mehr gibt. Es gibt nur mehr Aktiengesellschaften, bei denen man im Kreis geschickt wird. Die kleinen Büros werden verschwinden, weil der größte Kostenfaktor die Versicherungsprämie und nicht mehr der Mitarbeiterstand ist.
P: Das ist die Frage nach der Entwicklung der Ökonomien, vielleicht wird der Druck doch so groß werden, dass man versucht über einen wirklich günstigen Wohnbau nachzudenken.
Was ist ein ‚wirklich günstiger‘ Wohnbau?
P: Einer, der nicht so teuer wie die jetzt Gebauten ist. Günstiger wird jetzt bereits in den Niederlanden gebaut. Der ist zwar nicht so gut ausgestattet, also billiger. Man kann auch über Fertigteilsysteme nachdenken. Beton ist mit einem negativen Vorzeichen behaftet - das macht man nicht mehr. Aber die Ziegellobby ist so groß und die Styrodurlobby so mächtig, dass alles in eine bestimmte Richtung forciert wird.
Die Richtung, in die sich die Architektur entwickeln wird, ist von vielen Dingen abhängig. Der ökonomische Druck wird aber viel stärker werden, wenn die Wohnungen nicht mehr leistbar sein werden.
Glauben Sie, dass Formen wie das Squatting bei uns eine Zukunft haben? Besetzen von leer stehenden Bauten zu Wohnzwecken als Form einer selbstregulierenden demokratischen Entwicklung, siehe Caracas, Mumbai, Johannesburg?
P: Das gibt es ja in London auch schon, also gar nicht so weit weg von uns.
Halten Sie das für eine Alternative?
P: Für die jungen Menschen schon. Wenn etwas leer steht, über längere Zeit, warum sollten sie das nicht okkupieren?
Ist das nicht auch eine Alternative für die Architektur? Der Architekt könnte einen Schwerpunkt seiner Arbeit in Umnutzung, Neunutzung statt Neubauen legen?
P: Da müsste die Immobilienwirtschaft die Gebäude zur Verfügung stellen. Der Architekt (alleine) kann da nichts verändern.
Sie sitzen doch am Hebel der Bildung, der Information über Architektur!
P: Wir bearbeiten an der Kunstuniversität auch solche Projekte wie die Umnutzung von leer stehenden Wohngebäuden oder Konzepte für ehemalige Industrieareale. Aber ArchitektInnen alleine können die Welt nicht verändern, so naiv bin ich nicht.
K: Der ‚Bürgerstand‘ ist am Aussterben, ich bin ja kein Facebookmitglied, aber ...
Es geht nicht um den Bürger, es geht um den Wutbürger!
P: Ja, der ist am Entstehen, am Kommen.
K: Die Architektur kann Konzepte liefern. Der geförderte Wohnbau wird von der EU stark attackiert, es gibt nur noch drei Länder, die so etwas haben. Ansonsten gibt es nur mehr den liberalen Wohnungsmarkt, wo noch billigere Qualität gebaut, aber teurer verkauft wird. Da steigt die Wut!
Sabine Pollak studierte Architektur an der TU Graz, Innsbruck und Linz, habilitierte sich 2004 für das Fach Wohnbau, leitet seit 2008 als Universitätsprofessorin den Fachbereich Urbanistik an der Kunstuniversität Linz, forscht in den Bereichen Urbanistik, Wohnbau, Architekturtheorie und Gender und führt gemeinsam mit Roland Köb das Architektur- und Forschungsbüro Köb&Pollak Architektur in Wien. Publikationen (Auszug): „Das Andere der Stadt.“, gem. mit B. Eder und K. Urbanek, Wien 2007. „Bis an die Grenze. Szenarien für drei Grenzorte“, Wien 2007. „Leere Räume. Weiblichkeit und Wohnen in der Moderne“, Wien 2004. „In nächster Nähe“. Ein Handbuch zur Siedlungskultur in NÖ, gem. mit R. Tusch und E. Haselsteiner, NÖ 2002.
Roland Köb studierte Architektur an der Universität für Angewandte Künste in Wien, leitete als Partner das Büro 6B Architekten, unterrichtete als Gastprofessor an der University of Michigan, Ann Arbor und als Lehrbeauftragter an der TU Wien, Abteilung Hochbau2. Seit 1995 leitet er gemeinsam mit Sabine Pollak das Büro Köb&Pollak Architektur.