Kohlbauer Furche

Über das Verdrängen und die Gegenwart

 

30 Jahre lang präsentierte sich Österreich in Auschwitz unter dem Motto „Österreich - erstes Opfer des Nationalsozialismus“. Nun wird die Ausstellung im Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers neu gestaltet. Das Konzept für die Gestaltung stammt vom Team um Sulzenbacher und Lichtblau, die 2014 als Sieger der europaweiten Ausschreibung des Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus hervorgingen. In seinem Mittelpunkt steht das Opfergedenken, aber Österreich zeigt sich auch als Land der Täter und bricht damit ein (nationales) Tabu. Denn die Täter-Opfer-Umkehr gehört zu den beliebtesten Spielarten der österreichischen Realität.

Den Wettbewerb zur gestalterischen, architektonischen Umsetzung (voraussichtliche Eröffnung 2017) gewann der Wiener Architekt Martin Kohlbauer. Peter Reischer sprach mit ihm über Architektur und Vergangenheitsbewältigung.

 

Was bewegt Sie, sich immer wieder für die Aufarbeitung der Vergangenheit einzusetzen: Jury beim Wettbewerb für das ‚Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz‘, ‚Installation für das Jüdische Museum Wien und in Europa‘ und jetzt die architektonische Neugestaltung des österreichischen Beitrages in Auschwitz?

Das ist auch ein bisschen biografisch. Meine erste Beziehung war mit einer Jüdin, meine jetzige Frau hat Judaistik und Slawistik studiert, wir haben aber nie ein Projekt gemeinsam gemacht. Eine sehr gute Bekannte, Felicitas Heimann-Jelinek, hat mich vor Jahren gebeten, ein Projekt im jüdischen Museum in Eisenstadt zu realisieren. Seitdem sind viele weitere Ausstellungen und Projekte in ganz Europa, USA und Israel gefolgt.

 

Wie sehen Sie die Stellung oder die Wirkmächtigkeit der Architektur in unserer Gesellschaft?

Ambivalent, einerseits ist die Aufmerksamkeit eine wesentlich größere, weil Architektur auch als Marke herhalten und etwas leisten kann. Das hat man ihr vor 25 Jahren noch weniger zugetraut.

Gleichzeitig ist dieses Vermarktungssyndrom ein Problem, weil es plötzlich nicht mehr um Qualität, sondern um ‚Lifestyle‘ geht. Man soll der Architektur jedoch nicht zu viel aufladen. Der Architekt, ist gewissermaßen ein universeller Dilettant, ist der Sozial- und Umweltgestalter. Beim Weltgestalter wäre ich skeptisch. 

 

Wenn die Architektur zur Marke wird, geraten wir in eine andere Ebene. Architektur sollte, als die umfassendste aller Künste, nichts mit monetären, finanziellen oder wirtschaftlichen Aspekten zu tun haben. Die sind aber heutzutage ausschlaggebend.

Ich bin in einer Zeit Architekt geworden, in der ein sparsamer Zugang wichtig war - das zieht sich eigentlich durch alle meiner Arbeiten. Und das halte ich auch so beim Gestalten von Ausstellungen. Bei meinen Projekten war der Geldsack nie üppig oder ausufernd. Es gibt den Begriff der Angemessenheit einer sinnvollen Konstruktion in der Architektur, eine entsprechende Haut, der Umgang mit Licht. Dinge wie Farbe und Licht haben wir ja, die sind nicht monetär bestimmt.

 

Sollen Erinnerungsstätten überhaupt ‚architektonisch‘ gestaltet werden? Besteht die Gefahr einer Verschiebung des Schwerpunktes vom Thema, vom Anlass, hin zur Gestaltung?

Die Gestaltung, in diesem Zusammenhang, ist ein sehr konzentriertes, auf das Wesentliche reduziertes Einbringen von Dingen. Ich will hier nicht von Design sprechen. Mir ist es bei Ausstellungsgestaltungen nie um Vitrinendesign gegangen - die müssen einfach da sein und dem Exponat entsprechen. Aber es geht mir immer um Raum, auch in der Architektur von temporären Ausstellungen.

 

Die Gaskammern in Auschwitz sind unter tatkräftiger Mitwirkung eines österreichischen Architekten (Fritz Karl Ertl) erbaut worden - ist das eine Art Genugtuung für Sie, jetzt als Architekt einen Schritt zur Richtigstellung der Geschichtserklärung tun zu können?

Ja und nein, von Genugtuung kann hier keine Rede sein. Wir leben in einer Zeit, in der man das ‚Gutsein‘ so gerne vor sich herträgt. Da bin ich mir selbst gegenüber sehr vorsichtig.

 

Aber richtig und gut lässt sich - zumindest aus meiner Sicht – in diesem Zusammenhang schon definieren.

Ja, klar - sonst würde ich solche Arbeiten ja nicht schon mein Leben lang gemacht haben. Ich halte diese Beiträge für sehr essenziell für unsere und die nächste Generation. Die Zeitzeugen werden immer weniger und man kann diese Aussagen filmisch zwar lebendig erhalten, aber es ist - wenn es die Menschen nicht mehr gibt - eine verkürzte Wiedergabe.

  

Wenn die Architektur nicht auch reflexiv ihre ‚Mittäterschaft‘ aufarbeitet - wie kann dann dieser Einfluss aus der architektonischen Bildung an den Schulen und Universitäten verschwinden? Siehe Rob Krier, Aldo Rossi, Wilhelm Holzbauer ... (wobei ich niemanden der Genannten als ‚Nazi‘ bezeichnen will).

Aus meiner Sicht - ein häufiges Missverständnis. Historische, urbane Bezüge sind und bleiben Referenzen der Architekturschaffenden. Alle von Ihnen Genannten haben vor allem im Wohnbau Richtungsweisendes geschaffen. Man muss aber auch da vorsichtig sein, nicht jeder ‚Nazi‘ war ein schlechter Architekt. Es gibt jedoch viele, die der ‚großen Ordnung‘ gefrönt haben. 

 

Für mich liegt in der ehemaligen Aussage „Österreich erstes Opfer des Nationalsozialismus“ eine ungeheuerliche Selbstlüge, der Versuch der Täter-Opfer-Umkehr.

Es war ‚scheinbar‘ eine einfache Möglichkeit, aus einer unhaltbaren Situation herauszukommen. Aber ich meine, dass in den letzten 20, 25 Jahren sich das Geschichtsbild und der Zugang dazu deutlich geändert haben. Die Ausstellung, die in den 70er Jahren in Auschwitz gemacht wurde, ist ja damals fast wie ein Abschlusspunkt proklamiert worden. Kreisky war ein vehementer Verfechter dieser These und hat das - für Österreichs Geschicke - durchaus positiv gesehen. Ich würde schon eine damals durchaus wohlmeinende Kraft dahinter sehen. Wie die neue Ausstellung ja auch inhaltlich zeigt, ist diese Auffassung mittlerweile ausgeräumt. 

 

Je weiter die Zeit voranschreitet, desto mehr gerät Geschehenes unter einen Mantel der Abschwächung, des Vergessens. Die Äußerungen gewisser Politiker in den Medien und unser Umgang mit Flüchtlingen zeigen, dass solch ein System sofort wieder entstehen kann.

Ich muss ganz ehrlich sagen, ich sehe die Dinge genauso gefährlich. Wir alle sind aufgerufen, ein Klima der Angst gar nicht erst entstehen zu lassen.

 

Welchen Beitrag kann die Architektur in Auschwitz gegen diese Tendenzen leisten?

Die Architektur ist zuerst einmal der Block 17. Genau gegenüber des Massengalgens und des Appellplatzes. Es stehen dort an die 30 dieser Backsteingebäude.In Auschwitz wird die Außenansicht nichts mit den Inhalten, die vermittelt werden sollen, zu tun haben. Die Substanz wird zur Gänze erhalten, aber im Inneren wird zusätzlich eine neue Ebene eingestellt, eine Reflexionsebene als Raum-im-Raum-Konstruktion. Diese wird aber durch partielle Öffnungen Ausblicke schaffen, zum Umfeld, zum Galgen, zum Appellplatz. Das sehr kluge, inhaltliche Ausstellungskonzept schafft mit dem Begriff ‚Entfernung‘ eine starke Doppeldeutigkeit und darüber hinaus mit den Zuordnungen ‚hier und dort‘ eine vielschichtige Verknüpfung ... Auschwitz ist eben nicht nur dort, sondern auch hier (in Wien).

William Knaack