Alfred Berger

Licht, Materialität und die Fliese


Einer der interessantesten Wiener Architekten, der baut und sich nicht mit Oberflächlichkeiten und Streitereien unter Kollegen aufhält, ist Alfred Berger von Berger und Parkkinen Architekten in Wien. Peter Reischer traf sich mit ihm in seinem Atelier und unterhielt sich mit ihm über die Fliese.


Herr Architekt Berger, warum wird - Ihrer Ansicht nach - sowenig über diesen jahrtausendealten Bestandteil der architektonischen Gestaltung geschrieben und nachgedacht. 

Die Fliese hat mit gewissen Vorurteilen zu kämpfen. In meiner Generation ist man in der Postmodernen mit fröhlich farbigen Fliesen belästigt worden. Diese sind der nachfolgenden Generation sehr unangenehm aufgefallen und zum Inbegriff einer postmodernen Haltung geworden.


Hängt das mit der Postmodernen zusammen oder mit der speziellen Gestaltung, die diese Architekten eben vorgenommen haben? Denn weder Farbe ist etwas Schlechtes noch ist die Fliese an und für sich etwas Schlechtes.

Es ging eher um diese Hellblau- und Rosatöne bei den Fliesen. Diese Art der Gestaltung hat eben eine sehr kurze Halbwertszeit gehabt. In den 80er Jahren ist diese Haltung  - mit den ‚Bogerln und Säulen‘ - wieder vorbeigegangen. 

Einer meiner ersten ‚Heros‘ im Studio waren damals der junge Nouvell oder Foster. Da war alles farblos, grau, weiss, silber und bei Nouvell dann schwarz. Und in meiner eigenen Generation ist nach dem HighTec die Liebe zu den natürlichen Farben gekommen, die Farbe die aus dem Material entsteht: Stein, Holz, Beton, Sichtbeton. Da ist die Fliese schon ein bisschen in den Hintergrund getreten. 

Eine weitere Schwierigkeit der Fliese ist die Kleinteiligkeit. Wir wollen eher immer großflächig arbeiten. So wie der Sichtbeton oder auch der Putz große gleichmäßige Flächen in der Gestaltung ermöglicht. Das sind die kritischen Aspekte, mit denen man heutzutage umgehen muss, wenn man die Fliesen bewusst einsetzt.

Ich habe eine sehr positive Beziehung zu diesen Oberflächen durch meinen Skandinavienbezug. In der finnischen Architektur haben die gekachelten Fassaden von Avar Alto eine große Tradition in der Architektur. Auch Naturstein, Backstein und keramische Fliesen. 

Die Fliese ist ja einerseits Farbe oder eben auch Oberfläche. Das war ja auch bei der Serie Emotion von Agrob Buchtal so interessant. Diese Serie versucht eine Art Spur darzustellen, eine gelayerte Oberfläche zu reproduzieren. Ein ‚Durchschimmern‘ von Gebrauchs- und Altersspuren. 


Würden Sie das als einen Trend bezeichnen?

Ja natürlich, denn oft sind die wirklichen Naturmaterialien zu teuer, oder sie genügen den Anforderungen nicht.


Warum legen sowenig Architekten Wert auf Fliesen im Sinn einer liebevollen Detailgestaltung? 

Hundertwasser war da eine absolute Ausnahme, aber er war kein Architekt.

Die meisten Architekten machen einen Bogen um eine detaillierte Gestaltung von WCs und Nasszellen.

Das kann ich Ihnen nicht beantworten, weil wir ja wenig im Detail gestalten. Wir versuchen immer im Großen die Gestalt zu erzeugen. 

Mein Zugang zur Fliese ist eher ein entspannter: Die Fliese ist eben eine Verkleidungsmaterial, das so wie ein Ziegelmauerwerk erst dann funktioniert wenn der Verband über große Flächen in einer logischen und sich selbst genügenden Weise durchgeht.

Die Vorzüge der Fliese sind natürlich unglaublich: es ist wirklich das einzige Material das dauerhaft ist. Wenn ich in ein 100 Jahre altes WC gehe, sind die Fliesen oft noch einwandfrei. 


Wie wichtig ist die Fuge? Ist sie in einer gewissen Weise genauso wichtig wie die Fliese selbst?

Sie ist ja eine Art Antithese zur Fliese, ein negativer Raum zwischen den Fliesen.

Das Fugenbild ist für mich am schönsten wenn es den Rahmen der Selbstverständlichkeit nicht verlässt. Wenn es ein Teil der Fliese ist.


Sehen Sie diese Selbstverständlichkeit auch in der Farbigkeit?

Farbige Fugen sind mir immer ein Greuel gewesen. Die Zeit der weissen Fliese mit roten Fugen habe ich nicht gemocht. Ich verwende fast nur weiße Fliesen, am liebsten 15 x 15 cm. Die hat eben genau dieses ‚Beiläufige‘. Was ich auch sehr gerne mag sind die Bodenfliesen aus einem Hartbrand, die dann im Idealfall fugenlos, Stein an Stein verlegt werden. Etwas, das heute eigentlich kein Fliesenleger mehr machen will.


Warum werden die Fliese nicht immer in einer guten Qualität verwendet? Weil es eine Preisfrage ist?

Ja, ich glaube schon! Wir haben eine unglaublich stark von der Ökonomie getrieben Bauwirtschaft.

Gerade in Österreich haben die Menschen immer versucht, sich kleine, individuelle Refugien zu schaffen. Da ist die Fliese stark missbraucht worden. Mit Bordüren, Mustern etc.

Heute träumt aber ja jeder von einem Bad ohne Fliesen. Das ist ein Trend, der sich auch wieder totlaufen wird. Diese Korian-Orgien in den Bädern, das ist ein bisschen so wie im Spaceship.


Der Aspekt des sinnliche Erlebens, die Freude des Erlebens schlechthin geht aber in dieser Preisdiktion völlig verloren?

Wenn ich in ein Haus von Vassal & Lacaton hineingehe, ist alles extrem billig und einfach. Aber durch den hohen geistigen Gehalt hat es doch - wenn man sich auf das ‚trashige‘ einlassen kann - auch sinnliche Qualitäten.

Vassal & Lacaton haben in Wien zum Beispiel das Café im Architekturzentrum gestaltet. Hier ist die Fliese trotz des Dekors fortlaufend und tapetenhaft verwendet – sehr schön.


Um das sinnliche Erleben für den Benutzer begreifbar zu machen, wäre die Fliese doch das ideale Medium. Es ist eine leichte Methode um sowohl Farbe wie auch Haptik, in individuell gestaltete Räume zu bringen?

Ja, dazu ist sie auch geeignet.


Warum machen das die Architekten dann nicht?

Weil es im Moment nicht Mode ist, und nur die wenigsten Architekten sich weit vom Mainstream bewegen. 


Wie aufgeschlossen sind Sie Kritik gegenüber?

Es gibt wenig kritische Diskussionen über guter Architektur. In Österreich vielleicht noch weniger als anderswo. Nur über schlechte Bauten wird Kritik geäußert.


Es ist ja bekannt, dass nicht allein die Medizin um nicht zu sagen die Chemie, den Menschen gesund macht. Auch, oder gerade besonders die räumliche Wirkung von Architektur beeinflusst die Psyche und damit die Gesundheit der Menschen.

Gerade bei Nassbereichen in Rehab-Zentren, Spitälern und dergleichen wäre es doch ausgesprochen wichtig, einen psychologischen Aspekt in die Raumgestaltung einzubeziehen. Um die Gesundung der Patienten zu fördern. 

Das ist ein interessanter Aspekt der Fliese. Es gab ja im 20. Jahrhunderte eine soziale, politische, medizinische Bewegung - man könnte sie ‚Hygienismus‘ nennen. Das ging soweit, dass in Paris Häuser außen komplett weiß verfliest wurden, um den Schmutz der Stadt abwaschen zu können. 

Heute hat sich diese Einstellung vor allem im Krankenhausbau geändert. Man versucht den Menschen dort schon ein warmes, würdiges Ambiente zu bieten.


Es gibt jede Menge technischer Beschreibungen, historischer Abhandlungen über Fliesen. Was kann man über Fliesen philosophisch sagen? 

Das ist ein bisschen wieder die Frage unserer Generation. Ich bin von Prof. Penttilä ausgebildet worden, auf der Akademie am Schillerplatz und fühle mich einer ‚pragmatischen Poesie‘ verpflichtet. Bauen ist trotz der extremen kulturellen Bedeutung extrem pragmatisch, und ich finde die Versuche sich denen zu entziehen oft sehr verkrampft.


Ist für Sie die Fliese nur auf die Materialität reduziert, oder schwingt da noch etwas anderes mit? 

Das Material hat keine Seele, das ist so! Alles andere ist mir zu esotherisch. Geist und Seele bekommt es erst durch die Anwendung. Dadurch entsteht eben das ‚mehr‘, so entstehen Räume, Lichtsituationen etc.


Man sagt, Fliesen haben eine schlechte Akustik? 

Ich bin als Kind zum Musizieren am liebsten ins Badezimmer gegangen - weil es dort den größten Nachhall gab. Grundsätzlich ist die Fliese ein hartes Material und hat eben entsprechende akustische Eigenschaften. 


Ihre Lieblingsfliese ist weiß, 15 x 15 cm. Verwenden Sie gar keine farbigen Fliesen?

Bei meinen ersten Projekten habe ich farbige Fliesen verwendet, jetzt nicht mehr. Aber sag niemals nie! Für mich ist die größte Poesie im Bauwerk immer das Licht. Natürlich auch der Klang usw. 

Keramische Oberflächen haben - was das Licht angeht - ganz spezielle Eigenschaften. Das muss man dort wo es passt einsetzen, sicher nicht nur im Badezimmer.

Wo ich in der industriellen Produktion ganz besonderen Augenmerk darauf legen würde, das ist die sogenannte Tiefe der Glasur.


Glauben Sie, dass Architektur etwas verändern kann? Wollen Sie etwas verändern?

Architektur ist der Rahmen in dem sich menschliches Handeln abspielt. So hat Architektur auch einen gehörigen Einfluß auf das soziale und intellektuelle Klima. Manchmal kann neue Architektur euphorisieren, manchmal abstoßen. Zumeist ist die Wirkung auf das Verhalten und das Empfinden der Menschen aber eher subtil und zugleich nachhaltig. Genau diese Ebene versuchen wir in unseren Projekten bewußt zu erreichen.

William Knaack