Christoph Leitl

Vergangenheit, Bauwirtschaft und Zukunft
Veruntreutes Geld ...?
„Die Politik da oben ...!“

 

Ein Mann, der trotz Politiker-Sein, noch eine große soziale Verantwortung aus seiner Vergangenheit in der Wirtschaft ausstrahlt und vermittelt, ist WIKA Präsident Dr. Christoph Leitl. 

Peter Reischer unterhielt sich mit ihm sehr angeregt über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 

 

Herr Präsident Leitl, worauf bauen Sie?

Dass Menschen, die Gleichklang und Vertrauen verbindet, durch gemeinsames Bewegen etwas Positives bewirken.

 

Von 1977 bis 1990 waren Sie Geschäftsführer der Firma Bauhütte Leitl-Werke Ges.m.b.H. in Eferding. Wie sehr prägt Sie heute noch diese Vergangenheit in Ihrer politischen und organisatorischen Tätigkeit?

Außerordentlich stark. Im Betrieb lernt man, flexibel zu sein, kreativ zu sein. Ich habe mich immer gegen wesentlich größere Konkurrenten bewähren müssen. Aber man lernt auch Menschen zu begeistern, zu motivieren, zielorientiert zu formulieren, Strategien und Maßnahmen zu entwickeln und eine Umsetzungskontrolle vorzunehmen. Das ist das unternehmerische Geschäft - das habe ich zuerst in der Landespolitik und jetzt in der Wirtschaftskammer hervorragend anwenden können.

 

Haben Sie deshalb eine besondere Affinität zur Wirtschaft?

Ja, aber auch einen anderen Zugang zur Politik. Politik ist heute glänzend in der Analyse, aber schlecht in der Umsetzung. Unternehmerisch gedacht ist jedoch der Abschluss entscheidend und nicht die Analyse.

 

Warum sind Sie eigentlich aus der GL der Firma ausgeschieden und in die Politik gegangen?

Weil mir der damalige LH Ratzenböck die Gelegenheit gegeben hat, ein Land, das sich - Anfang der 90er Jahre - tief in der Krise befunden hat, mit neuen Ideen zu verändern. Ich habe damals in 12 Arbeitsgruppen mit ‚krisenerprobten‘ Fachkräften aus allen Bereichen, nicht nur eine Analyse erarbeitet, sondern auch die Vorschläge. Die habe ich dann umsetzen können.

 

Damals haben Sie ganz klare Visionen gehabt. Wie haben die sich im Laufe der Zeit verändert, haben Sie etwas revidieren müssen?

Ein Mensch, der rückblickend sagt, es hat sich alles perfekt entwickelt - ist eigentlich arm. Es ist gut, wenn sich ständig neue und wechselnde Herausforderungen ergeben. Das wesentliche Ziel war, Oberösterreich von einer Krisenregion im Jahr 1990 zu einer Spitzenregion - im europäischen Vergleich - im Jahr 2000 zu entwickeln. Das ist im Wesentlichen gelungen.

Ich hätte nun das Erntedankfest feiern können oder eine neue Baustelle eröffnen. Ich habe mich für das Zweite entschieden.

 

Hatten Sie manchmal den Wunsch in die Wirtschaft zurückzukehren?

Ich bin Zeit meines Lebens immer Unternehmer geblieben. Aber jetzt bin ich nicht mehr in der Kampfmannschaft am Feld, sondern kann von der Betreuerbank auch das eine oder andere beitragen.

 

Sind Sie ein Mann des Kompromisses oder des Durchsetzens?

Des Kompromisses.

 

Agieren oder Delegieren?

Beides! Im Augenblick, in dem ich delegiere - agiere ich ja auch.

 

Was würden Sie persönlich heute anders machen?

Rückblickend ist man immer gescheiter. Auch ich habe meine Fehler gemacht und daraus gelernt. 

Henry Ford hat gesagt: „Wenn 51% meiner Entscheidungen richtig sind, bin ich erfolgreich.“

 

Wir haben in Wien gerade Wahlen gehabt. Wie wird sich das Ergebnis auf die Wiener Bautätigkeit auswirken? Wird es sich überhaupt auswirken?

Zwischen Wahlergebnis und Bautätigkeit sehe ich keinen Zusammenhang. Wohl aber die Notwendigkeit, das Wachstum Österreichs, das derzeit unterdurchschnittlich in Europa ist, zu beschleunigen. Und da ist eine Wohnbauinitiative dringend notwendig. 

 

Was halten Sie von der Ankündigung der SPÖ, wieder Gemeindebauten zu errichten?

Häupl hat das angekündigt - gemacht muss es werden. Ebenso wie das Wohnbauprogramm der Regierung. Von Ankündigungen hat niemand etwas. Wenn heuer am Bau eine starke Winterarbeitslosigkeit ist, werden wir uns alle betroffen anschauen und sagen: „Hätten wir doch ...“

 

Was hat die Bauwirtschaft generell von der Zukunft zu erwarten? 

Wenn das Wohnbauprogramm rasch kommt, wird das Jahr 2016 sicher ein besseres Jahr werden. Da geht es ja nicht nur um die Beschäftigung in der Bauwirtschaft, sondern um alle nachgelagerten Gewerbe- und Handelsbereiche. Wenn wir ausreichenden Wohnraum zur Verfügung stellen, treiben wir die Mieten nicht in die Höhe. Die Mieten sind ein Hauptfaktor, dass Österreich im europäischen Vergleich überproportional in der Inflationshöhe liegt. Das wird wieder für die Kollektivvertragsverhandlungen als Grundlage herangezogen - das heißt, wir verlieren auch über eine hohe Inflationsrate an Wettbewerbsfähigkeit. 

 

Wie sehen Sie den Wohnraumbedarf im Gegensatz zu der Großzahl (zwischen 35.000 und 100.000) leer stehender Wohnungen in Wien?

Ich weiß, nicht woher die Zahlen stammen, aber eine Untersuchung, wie viele Wohnungen wirklich leerstehen oder über die Ursachen für das Leerstehen wäre ganz interessant.

 

Könnte das nicht die Wirtschaft aktiv fordern?

Das kann ich mir durchaus vorstellen.

 

Es gab einmal die Story, dass in den Leitlwerken die Arbeiter 11 statt der kollektivvertraglich erlaubten 9 Stunden gearbeitet haben. Und zwar auf eigenen Wunsch, weil sie dadurch nur 3 Tage arbeiteten und 4 Tage freihatten. Von der Sozialversicherung wurden Sie und Ihre Mitarbeiter dann gezwungen - obwohl sie es nicht wollten - sich umzustellen. Was sagen Sie zu einer derartigen ‚Überregulierung‘ des Arbeitsmarktes?

Von Überregulierungen halte ich wie alle Unternehmer gar nichts. Sie wissen, dass nicht nur wir davon betroffen waren und sind. Eine vernünftige, flexible Arbeitszeit, die vom Willen der Betroffenen selbst getragen wird, sollte in diesem Land machbar sein.

 

Woran scheitert es dann?

An den eingefahrenen Strukturen, die ich immer wieder kritisiere. Wir denken nicht, was ist in der Zukunft notwendig, sondern was ist heute der Istzustand, den es zu verteidigen gilt. Dieses ständige ‚Beschützen‘ wollen, ist eigentliche etwas, das nicht mehr in die heutige Zeit passt. Wir sind mündige Menschen und wer Menschen nicht menschlich behandelt, wird bald niemand mehr für eine Mitarbeit zur Verfügung haben und Kunden verlieren.

 

Wie weit darf, soll der Staat in die Wirtschaft eingreifen?

Es geht nicht um hineindirigieren, sondern um Einsicht gewinnen. Die Einsicht, dass wir uns in einer globalen Welt verändern müssen, wenn die Dinge so bleiben sollen, wie sie heute sind. 

 

In einer globalen Welt ist es schwierig, globale Lösungen zu finden ...

Ich brauche keine globalen Lösungen - ich muss nur schauen, dass die österreichischen Betriebe in Europa und der Welt erfolgreich sein können. Und derzeit ist eben der Auftragseingang sehr volatil geworden. 

 

Würden Sie die ‚österreichische Lösung‘ noch weiter aufgliedern, auf verschiedene Gruppen der Wirtschaft?

Selbstverständlich! Mit Hundstorfer habe ich noch ausgemacht, dass die Arbeitszeit vom Gesetzgeber vorgegeben ist. Mit dem Argument der Angepasstheit haben wir gesagt - machen wir es kollektivvertraglich. Und kollektivvertraglich konnte jetzt immerhin die Metallindustrie flexiblere Arbeitszeiten erreichen. 

 

Wie sehen Sie die Möglichkeit einer nicht-ausschließlich-Profit-orientierten Wirtschaft, Beispiel Gemeinwohlökonomie?

99 % der Unternehmen, die ich vertrete, haben nicht eine ausschließliche Profitorientierung. Natürlich müssen sie Gewinn machen, sonst können sie nicht investieren und ihre Mitarbeiter ordentlich bezahlen. Damit ist aber inkludiert, dass sie ausbilden und ein hohes Verantwortungsgefühl ihren Mitarbeitern gegenüber haben. Und sie zahlen Steuern und Sozialabgaben. Das ist sehr viel. Dafür sollte es auch mehr Wertschätzung für Unternehmer geben. 

 

Die Leitl-Werke haben ja die Mitarbeiter in den 80er Jahren am Unternehmen beteiligt, damals eine soziale Revolution.

Ja, ich bin der Meinung, wer seine Mitarbeiter nicht ordentlich behandelt, wird auch von ihnen nicht ordentlich behandelt werden.

 

Sehen Sie in Österreich da einen Nachholbedarf?

Wir liegen im internationalen Vergleich sehr hoch im Bezug auf Verantwortung in den Unternehmen. CSR brauchen die kleineren Betriebe nicht - die reden einfach miteinander und machen es einfach.

 

Die sogenannte Generation Y ist momentan stark im Gespräch. Eine Generation, der man gesagt hat: „Ihr könnt alles erreichen und machen, was ihr wollt!“ Was können Sie (diesen) jungen Menschen als Rat mitgeben?

Mehr als jeder Generation zuvor stehen diesen Menschen alle Möglichkeiten, alle Türen offen, aber eine ‚g‘mahte Wiesn‘ gibt es nicht. Wer eine Wiese nicht selbst mäht, wird auch kein Futter bekommen.

 

Glauben Sie, dass wir ‚Ältere‘, unser Wissen weitergeben sollen? Gibt es eine christlich/humane Verpflichtung zu vermitteln?

Ja, natürlich, das mache ich auch. Ich bin sehr viel in Schulen, bin Gastprofessor an der WU. Ich bemühe mich, mit der nächsten Generation in Kontakt zu sein – und auch von ihren Ideen zu lernen. 

 

Stichwort Partizipation, Haben wir zu viel, genug oder zu wenig Bürgerbeteiligung in Österreich?

Zu wenig, man erlebt Politik immer noch als etwas, das ‚oben‘ und abgehoben ist und flüchtet selbst in einen privaten Bereich. Aber gerade die neuen Medien geben dem einzelnen Bürger die Möglichkeit, an einzelnen Projekten viel stärker mitzuwirken und es nicht nur den Politikern zu überlassen.

 

Also setzen Sie eine gewisse Hoffnung in die Zivilgesellschaft?

Ja! Ich habe in OÖ etwa die Ortsentwicklung forciert, das war nicht nur eine Behübschung, das war eine architektonische Neugestaltung und unheimlich spannend: Da hat es Gemeinden gegeben, in denen 40% der Bürger aktiv mitgearbeitet und damit Politik gestaltet haben.

 

Das ist ein authentisches Ergebnis, etwas, das mir in Wien fehlt.

Ja, es fehlt, ist aber notwendig. Wien ist keine amorphe Masse von 1,7 Mio Einwohnern, sondern Wien hat Bezirke, Grätzeln, Einkaufsstraßen - man muss das herunterbrechen auf eine Ebene, auf der die Mitbestimmung spürbar und erlebbar ist.

 

Der einstige Satz von Wolfgang Schüssel „Mehr privat – weniger Staat“, gilt?

Das ist ein Grundprinzip, dem ich immer zustimme. 

 

Anfang des Jahres machten Sie die Prognose von mindestens 1,5 Prozent Exportwachstum im Gesamtjahr 2015 und meinten, dass wir wieder ein All-time-high bei unseren Ausfuhren erreichen werden. Wie schaut das jetzt aus, hält die Prognose?

Ja! 

 

Wie sind Sie mit dem Jahr 2015 für die Bauwirtschaft zufrieden - von der Performance, aber auch von den geänderten Rahmenbedingungen her - also neues Vergaberecht, Sozialdumpinggesetz, Steuerreform?

Ich habe bezüglich des Lohn- und Sozialdumpings sehr viele Beschwerden aus dem Bauhaupt- und Nebengewerbe gehabt. Deshalb haben wir gesagt, wir müssen die Kontrollen verstärken. Aber jedes Schwert ist zweischneidig. Wenn man will, dass die Anständigen geschützt sind, muss man auch Kontrollen akzeptieren. Und bei der Steuerreform gibt es zwar nach wie vor Rechts-Unsicherheiten und Querelen wegen den Registrierkassen, aber Erbschafts-, Schenkungs- und Vermögenssteuer konnten verhindert werden. Das wäre für Österreichs Mittelstand ruinös gewesen.  

 

Warum braucht das mit der Rück-Zweckwidmung der Wohnbauförderung so lange?

Weil es für die öffentlichen Haushalte ungleich bequemer ist, eine solche nicht zu haben. Weil sie das Geld für andere Dinge ausgeben. Hier wir - quasi - anvertrautes Geld veruntreut.

 

Wenn man die demografischen Entwicklungen unsere Gesellschaft (Überalterung) und die Migrationsströme andererseits betrachtet - ist es da nicht verständlich, wenn die ‚Angstmache‘ der Rechtspopulisten auf fruchtbaren Boden fällt? Wie kann man den Menschen die Angst nehmen?

In dem man ihnen auch zeigt, welche Chancen mit einer Entwicklung verbunden sind. Wie wirke ich einer Überalterung entgegen? Indem ich jüngere Menschen einbeziehe. Und wenn da Junge kommen, die zum Teil hervorragend qualifiziert sind, ...

 

Flüchtlinge?

Am liebsten wäre mir eine gesteuerte Migration, aber wir müssen momentan mit den Bedingungen des Flüchtlingszustroms fertig werden. Das heißt, wir müssen das Potenzial der Flüchtlinge für unser Land nutzen. Die zentrale Frage ist: Wie können Flüchtlinge - nachdem wir ihnen jetzt helfen - dann uns helfen.

 

Sie schnell in den Arbeitsprozess integrieren?

Natürlich, nicht durch Verbote ausgrenzen. Wir sind durch die Ereignisse gefordert, manchmal auch überfordert, aber deshalb sollen wir nicht die Chancen übersehen, leistungsfähige und auch arbeitswillige Menschen zu haben, die unserem Staat Nutzen bringen.

 

 

William Knaack