Bernd Vlay

NACHHALTIGKEIT UND STADTPLANUNG
 

Architekt Bernd Vlay ist eine der überraschendsten Personen, die sich im Kreis der Stadtplanung und des Städtebaus in Österreich befinden. Das folgende Gespräch fand im improvisierten Modellbauraum seines Ateliers statt, unter Unmengen von Styropor-Baumassen- und Wettbewerbsmodellen. Peter Reischer unterhielt sich mit ihm über spannende Fragen der Nachhaltigkeit, Gesellschaft und Architektur.
 

Herr Architekt, es gibt doch schon jede Menge Alternativen zur Dämmung mit Styropor?

Klar, das ist aber immer noch das ‚Billigste‘, und das meine ich in seiner ganzen Doppelbödigkeit.

 

Das heißt, die ‚Rettung der Welt‘, oder Nachhaltigkeit ist zu teuer?

20 Jahre nachhalten ist – zumindest für den Mainstream der Akteure unseres auf ‚Jetzt-Kosten‘ orientierten Ökonomiesystems – zu teuer. Vorbildliche Projekte sind immer noch der Ausnahmezustand, der glücklicherweise dann aber doch durch hartnäckiges Beharren auf komplexer angelegte Systeme der Rentabilität eine gewisse Permanenz erlangt hat.

 

Dann unterscheiden sich die Menschen eigentlich nicht von Fliegen: Die kann man auch - wenn man sich ihnen langsam nähert - erschlagen. Die sind auch nicht in der Lage, eine langsam sich nähernde Gefahr zu erkennen.

Das stimmt! Wenn ich in meiner Position - als Architekt - spreche, dann kann ich aus der Position der Praxis heraus den Widerstand der Bauindustrie gegenüber Halbwertszeitphilosophien nur bedingt verändern. Der Quadratmeterpreis, egal wie kurios er letztlich errechnet wird, ist Sache im Hier und Jetzt.

 

Ist das nicht auch ein Problem der Bildung, einer fehlenden Bildung und Information, die schon im Kindergarten beginnen müsste?

Ja, natürlich. Umweltbewusstsein wird zwar im Fach Biologie unterrichtet, fehlt in den meisten Schulen als transdisziplinärer, integrativer Bestandteil, der in jedes Fach, auch in Mathematik einfließen sollte. Wenn die Kinder gute Lehrer haben, beschäftigt sie das auch und sie tragen diese Gedanken in die Welten der Familien hinein.

 

Da kommen wir zur Frage des Wertes. Was ist wie viel wert? Glauben Sie, dass Energie heute richtig bewertet wird?

Eine gute Frage. In den 1960er Jahren haben sich die Energielobbys entschieden, nicht in die Entwicklung erneuerbarer Energien zu investieren. Dadurch hat man den Markt jahrzehntelang verarmen lassen, was die Technologieentwicklung in Bezug auf natürliche Ressourcen, Wind und Sonne, betrifft.

Unsere Arbeit als Architekten hat ja durch und durch mit dem Haushalten von Energie zu tun. Das betrifft z. B. den gesamten Komplex der Mobilität - unsere Arbeit soll Energie als ein transdisziplinäres Thema aufzeigen und zwischen den unterschiedlichen Betrachtungsebenen vermitteln.

 

Was ist nachhaltige Stadtplanung?

In Österreich hat die Stadtplanung in der Architektur keinen sehr hohen Stellenwert. Architekten werden, meiner Meinung nach, in der Stadtplanung nicht fundiert ausgebildet. Die Unis haben ein Institut für Städtebau und dann gibt es die Raumplanung, aber keine Stadtplanung im Sinne des Urbanisten, der Planungsstrategien in Gestaltung übersetzt. Ich als Architekt bin nur insofern Städtebauer, als ich immer auch an der Schnittstelle zur Gestaltung agiere und Stadtplanung als strategisches, mit unterschiedlichen Maßstäben arbeitendes Design auffasse. Bei der Nachhaltigkeit kann ich daher nur im Rahmen meiner Kompetenzen ansetzen. Wie Le Corbusier gesagt hat – der Architekt ist jemand, der organisiert: Wie füge ich verschiedene Prinzipien, unterschiedliche Dinge auf neue, ja vielleicht nachhaltigere Weise zusammen? Wie ordne ich sie gestaltend, wenn ich unter Gestalt die spezielle Kunst des Zusammenfügens von Dingen verstehe?

 

Wie weit gehen Sie bei einem Wettbewerb von den geforderten Kriterien weg, wenn Sie glauben, eine bessere Lösung gefunden zu haben?

Sehr weit! Wir gehen so weit, wie es uns das kritisch-analytische Gewissen gebietet. Wettbewerbsprojekte sollen der Jury und der Fachdiskussion etwas geben, das ganz und gar nicht erwartet wurde. Darin liegt auch das eigentliche Potenzial von Wettbewerben. Mit den Wettbewerben haben wir einen zusätzlichen Spielraum, etwas in der Gesellschaft zu verändern. Wir entwickeln Konzepte im Labor unserer Ateliers und müssen sie leicht verständlich für das interdisziplinäre Gremium der Jury aufbereiten. Damit werden die Möglichkeiten eines Quartiers und eines Ortes in bestimmter Weise neu erzählt. 

 

Kommen wir vom Ort zur Architektur, was bedeutet Nachhaltigkeit in der Architektur?

In die Architektur ist ja auch die Kultur des Städtebaus eingeschrieben, also gelten für mich hier die gleichen Kriterien.

Bei meiner Diplomarbeit - das ist ja quasi die letzte Möglichkeit, noch einmal die Grenzen der Architektur freier im Rahmen des Studiums auszuloten, haben Dieter Spath und ich entschieden, die Rolle der Architektur und ihrer Aktionsradien zu thematisieren: „Wie wirkt Architektur in die Gesellschaft hinein?“ 

Wir haben damals eine abstrakte, virtuelle Linie durch Graz hindurch zu einem öffentlichen Raum erklärt und gebaut. Wir haben mit jedem Einzelnen, der auf dieser Linie wohnte, geredet und verhandelt und damit einen physisch realen Ort konstruiert, der ohne unser Handeln keine räumlich und zeitlich fassbare Realität gehabt hätte, weil er nicht als Form komponiert war. 

 

Heißt das, dass Sie in Ihre Überlegungen auch die sogenannten Nicht-Orte miteinbeziehen?

Was mich in Zusammenhang mit dem ‚genius loci‘ immer beschäftigt hat, ist die Frage: Gibt es überhaupt einen Ort, in den nicht schon ein Nicht-Ort eingeschrieben ist? Der Ort ist doch immer nur eine Gemengelage aus bestimmten Dingen, die sich in eine spezifische Relation setzen. Das Wesen des Ortes ist immer nur in einem situativen Moment erfahrbar.

 

Der Ort besteht praktisch nur aus ‚Zeitspuren‘?

Ich würde sagen - immer auch aus Zeitspuren, jedenfalls möchte ich mir den absoluten Ort nicht vorstellen.

 

Wie stehen Sie zu den Thesen von Lucius Burkhardt: Planung für Menschen, die in zehn oder mehr Jahren hier leben werden/sollen, ist unmöglich, oder die Strukturen müssen dementsprechend flexibel sein?

Ich glaube, dass es keine tatsächlich offenen Strukturen gibt. Wenn ich ein Raumgerüst baue, hat es eine Konnotation. Diese ist auch kulturell motiviert und verschränkt. Ein Gerüst, das mir in der Aneignung keinen Widerstand leistet, gibt es nicht. 

Ganz anders könnte man den Zugang der Aneignung als Abschöpfung interpretieren, wenn wir an das Bauen des frühen 20ten Jahrhunderts denken: Hier wurde zumindest der Versuch unternommen, in der ursprünglichen Ambition des Abschöpfungsgedankens - der ja von Marx in den damaligen Architekturdiskurs eingeflossen ist - eine Serialisierung durchzuführen.

 

Der Gedanke der Serialisierung widerspricht doch dem Menschlichen, jeder Mensch ist individuell, keiner ist gleich. Die ‚Serie Mensch‘ gibt es nicht.

Dem würde ich insofern widersprechen, als die Serialisierung ja nicht behauptet hat, keine Variationen zu zulassen. Die Frage ist, wie man aus Serialisierung wieder Differenz erzeugt. 

 

Wie stehen Sie zur These, die Stadt in ihrer Entwicklung einer Selbstregulierung zu überlassen? Nicht zu planen?

Ich halte nichts davon, weil eine Stadt aus vielen Organisationsformen und Machtstrukturen besteht, die miteinander verflochten sind. Es muss ein Gerüst, ein vielschichtiges Regelwerk geben, innerhalb dessen man Freiheiten und Charaktere erst artikulieren kann. 

Was mich dann aber dennoch unterschwellig ständig begleitet ist der Wunsch nach einem fiktiven Experiment: zu erfahren, was wir aus unseren Städten machen würden, wenn wir einen Nullpunkt wieder herstellen könnten und neu beginnen. Das wäre sehr spannend - als gelebtes Experiment.

 

Was halten Sie von der Wiener Stadtplanung? Ist das Planung oder Eigenwerbung?

Wer ist denn die Wiener Stadtplanung? ‚Per nomen‘ ist eigentlich die MA 21 für die Stadtplanung ‚zuständig‘. Sie tritt aber mit ihrer Arbeit nicht in die Öffentlichkeit, vielmehr wird diese Arbeit von der Politik für die Öffentlichkeit unterschiedlich interpretiert und angeeignet. Die Aneignung wäre dann die von Ihnen angesprochene Eigenwerbung. Aber eigentlich passiert in Wien Stadtplanung als Gemengelage von Akteuren und Abteilungen, die ihre Interessen in einem, naturgemäß von Konflikten gespickten, Prozess verhandeln müssen, 

Derzeit beschäftigt Wien der starke Bevölkerungszuwachs. Mit neuen Formaten wie kooperativen Verfahren werden momentan Wege ausprobiert, durch die der Entwicklungsdruck mit qualitätsorientierten Prozessen möglichst gut bewältigt werden soll. Aber eine diesen Verfahren übergeordnete Größe, welche die strategisch formulierten Zielsetzungen, wie wir sie aus den STEPs kennen, zu einem großen Leitbild konkretisiert, ist nicht so leicht greifbar, wenn wir uns die Summe dieser Verfahren im Vergleich ansehen.

 

Apropos kooperative Verfahren: Wie sehen Sie den Ausgang des Wettbewerbes für WEV und Interconti? Ist das ein Ergebnis oder das, was der Investor wollte?

Da kann ich konkret nichts sagen, anhand des Verfahrens lässt sich aber ganz gut aufzeigen, dass der Begriff ‚kooperativ‘ bereits in sich selbst ambivalent ist. Das heißt, welche Personen kooperieren in welcher Form zu welcher Zeit und treffen welche Entscheidungen in so einem Verfahren. Der Investor spielt natürlich als zentrale Entwicklerfigur immer eine tragende Rolle. Sehr anstrengend in diesen Verfahren ist, dass die Marke der ‚Kooperativität‘ Erwartungen hochschraubt: Es wird erwartet Probleme und Konflikte zu lösen, die im konkreten Rahmen eines derartigen Verfahrens so gar nicht zu lösen sind. 

 

Wieso kann/muss sich Architektur immer dem Finanziellen unterordnen? Sind wir eine vom Mammon definierte Gesellschaft?

Finanzen sind auch eine Ressource, für deren Verteilung es Spielräume gibt. Das ist eine Frage der Bewertung: Welchen Stellenwert hat die Architektur in unserer Gesellschaft?

 

Welchen Stellenwert hat die Architektur aus Ihrer Sicht?

Einen sehr hohen. Ich spreche über Architektur anhand meiner Arbeit – in meiner Arbeit verflicht sich das Denken ganz stark mit dem Machen. Ich kann keine Architektur machen, ohne gleichzeitig einen Diskurs mitzudenken. Über den Dialog zwischen Denken und Machen komme ich zu einem Projekt. Das ist auch eine gewisse pädagogische Mission.

 

CV BERND VLAY

Architekt und Urbanist in Wien; Leiter v. STUDIOVLAY, Büro für Urbanismus, Forschung und Architektur; Mitglied des Technischen Komitees von Europan Europa; Generalsekretär v. Europan Österreich; Herausgeber, Verfasser u. Kurator unterschiedlicher Projekte zum zeitgenössischen Architekturdiskurs (mit einem speziellen Fokus auf das ‚schwierige‘ Verhältnis zwischen Städtebau und Architektur); lehrt aktuell an der Akademie der Bildenden Künste, Wien; 2012/2013 Roland-Rainer-Chair, Akademie der Bildenden Künste, Wien; 2003 Gastprofessor, Cornell University, Ithaca/NY.

Aktuelle Projekte (alle Fertigstellung 2014): städtebauliches Leitbild Nordbahnhof, Wien, Volksschule Murfeld Graz, Wohnbebauung C01, Sonnwendviertel, Wien

 

William Knaack